Ein Amerikaner produziert im Schnitt doppelt so viel Abfall wie ein Deutscher und kennt weder Dosenpfand noch Grünen Punkt. Das Konzept hat durchaus seinen Charme. (5. Juli 2005)
Ich gebe es zu, ich liebe Plastiktüten, Getränkedosen und Alufolie. Kaum hab ich’s gesagt, schäm’ ich mich auch schon dafür. “Denk doch mal an die Umwelt…”, hieß es schließlich in meiner Achtziger-Jahre-Sozialisierung. Doch im Bewusstsein, dass es Sünde ist, macht das Verbotene noch viel mehr Spaß.
Seit vielen Jahren sind bei deutschen Amerikaurlaubern die Anekdoten über die zahlreichen Plastiktüten, die man im Supermarkt noch umsonst bekommt, sehr beliebt. Und es ist ja auch bemerkenswert, wenn man bei jedem Einkauf in Deutschland 20 Cent für eine Tüte bezahlt. In den USA ist dafür hinterher mehr drin. Für Plastiktüten Geld zu verlangen, wäre in Amerika Gift für jedes Geschäft. Darauf müssen auch internationale Unternehmen reagieren. Hier jedenfalls braucht man nicht Mitglied im Ikea-Club zu sein, um kostenlos eine Tüte für seine 100 Teelichter zu bekommen.
Aber mit einem Haufen Jutebeuteln und Plastikkisten einkaufen zu fahren, ist in Deutschland nun schon so lange Routine, dass heutzutage ein anderer Aspekt der amerikanischen Einweggesellschaft Faszination auslöst. Kürzlich hatten meine Frau und ich Besuch aus Deutschland. Eines Abends war das Staunen groß, als ich ein paar leere Bierflaschen vom Tisch räumte und routiniert schwungvoll in den Abfalleimer beförderte. Ja, Flaschen, nicht Dosen. Es gibt kein Mehrwegsystem, auch nicht für Glasflaschen. So einfach ist das.
In Kalifornien werden zwar ein paar Cent Pfand auf Getränkeverpackungen aus Plastik, Glas oder Aluminium erhoben, aber die Auswirkungen auf das Konsumentenverhalten sind überschaubar. Niemand sammelt. So wird der Pfand einfach zur Sonderabgabe, Thema abgehakt. Ich wüsste auch gar nicht, wohin ich die leeren Flaschen bringen sollte. Der Supermarkt nimmt sie jedenfalls nicht zurück. Aber zumindest die Sauberkeit am Autobahnrand leidet nicht darunter. Dafür sorgen Schilder, die krumme Strafsummen wie 7861 Dollar für das Entsorgen einer Getränkedose aus dem Autofenster androhen.
Ein weiteres Lieblingskind der Deutschen, die Mülltrennung, wird sehr unterschiedlich gehandhabt. Zwar gilt Kalifornien in Amerika als vorbildlich, aber das kann sich von einer Straße zur nächsten unterscheiden. Dabei gilt die Faustregel: Je größer das Haus und je gepflegter der Vorgarten, desto breiter gefächert die Mülltrennung. So wurden in einer Fernsehsendung kürzlich wohlsituierte kalifornische Vorstädter auf den Arm genommen, indem ihnen zehn verschiedene Tonnen zur Mülltrennung vor die Haustür gestellt wurden. Keiner protestierte.
Schon ein paar Blocks vom Mittelstandsidyll entfernt, in unserer Straße zum Beispiel, gibt es pro Mietshaus jedoch nur einen großen Container für alles vom Hausmüll über Kompostabfälle bis hin zum ausrangierten Sofa. Immer hinein, jeden Donnerstag ist der Container ja wieder leer. Und falls das noch nicht reicht, um das grüne Herz zu brechen, hier noch ein paar Zugaben: Das Auto darf man vor der Haustür waschen. Ununterbrochen laufen die Rasensprinkler. Die Häuser sind miserabel isoliert, ständig brummen die Klimaanlagen. Von Containern für Aluminium, Altpapier, Glas, Kork, oder einer Altbatteriesammlung ganz zu schweigen. Sonnenkollektoren – nie gehört. Windräder bleiben den Gartenzwergen vorbehalten. Ein VW Passat gilt als Kleinwagen. Und, und, und…
Und so sehr meine Achtziger-Jahre-Sozialisierung innerlich rebelliert, das Leben scheint doch weiterzugehen. Selbst die Luft in L.A. ist gar nicht so schlecht, wie man immer hört. Um zum Abschluss noch einmal auf unseren Besuch aus Deutschland zurückzukommen, nach dem ersten Staunen über meine undeutsche Entsorgung der Glasflaschen hatten sie nur eine Frage: Dürfen wir auch mal? So wird in Zeiten deutscher Mehrweg-Obsession sogar das gesellschaftlich legitimierte Wegschmeißen einer Bierflasche noch zum touristischen Highlight. Und ich werde gleich im vollen Bewusstsein über die Schändlichkeit meiner Tat die just geleerte Pepsi-Dose genussvoll, wie sagt man doch so schön, in die Tonne kloppen. Herrlich.