Kalifornien ist ein großes Solarium. Ohne Pullover ins Kino zu gehen, im Restaurant keine heiße Brühe zu bestellen oder Cola mit Eis zu trinken kommt trotzdem nicht in Frage. (30. August 2005)
Bitte hassen Sie mich nicht, aber seit März hat es in Los Angeles nicht mehr geregnet. Und das Beste dabei ist, dass es bis auf kurze Ausnahmen weder zu heiß, noch zu schwül wird. Im San Fernando Valley im Norden von Los Angeles und in den Wüstengebieten außerhalb des Metropolbereichs wird es leicht auch einmal wärmer als 40 Grad. Aber in Hollywood und westlich davon in Beverly Hills, Santa Monica und Venice ist das Wetter eigentlich durchgehend traumhaft. Als Europäer hält man es durch die nächtliche Kühle sogar ohne Klimaanlage aus – für Amerikaner jedoch undenkbar.
Denn nicht nur beim Wetter gibt es kontinentale Unterschiede, auch das amerikanische Temperaturempfinden unterscheidet sich grundsätzlich vom europäischen. Innerhalb geschlossener Räume kann es für Amerikaner eigentlich gar nicht kalt genug sein. Wohnung oder Arbeitsplatz ohne Klimaanlage werden als Zumutung empfunden. Jedes Kaufhaus und jeder Supermarkt sind in etwa so temperiert wie im deutschen Supermarkt die offene Kühltheke. Wenn man als Europäer im Restaurant das Pech hat, unter dem Klimaanlagen-Schacht zu sitzen, möchte man selbst im Hochsommer noch eine heiße Brühe als Vorspeise bestellen.
Ohne Pullover gehe ich nie ins Kino, denn arktische Temperaturen sind dort keine Seltenheit. Dies ist umso ärgerlicher, da man eigentlich nur ins Kino geht, um der Hitze draußen zu entkommen. Vielleicht ist die übertriebene Temperaturdiskrepanz ein Überbleibsel aus den 50er Jahren, als Kinos teilweise mit ihrer Klimaanlage und nicht mit dem Filmangebot warben. Die deutsche Angewohnheit, selbst bei stickiger Hitze die Fenster – z.B. in unklimatisierten Nahverkehrszügen – geschlossen zu halten, empfinde ich jedoch als genauso lästig. Anscheinend “zieht” es in Deutschland mehr als in anderen Ländern.
Die amerikanische Vorliebe für Kälte setzt sich bei Getränken nahtlos fort. Keine Cola wird ohne einen Berg von Eis serviert. Eigentlich kein Problem, wenn es nicht häufig aus Leitungswasser hergestellt würde. Das Eis ist zwar medizinisch unbedenklich, aber so stark gechlort, dass Softdrinks im Restaurant ganz anders schmecken als aus der Flasche. Wenn ich beim Trinken die Augen schließe, fühle ich mich immer ins Freibad meiner Jugend zurückversetzt. Dort schmeckte die Cola ähnlich, wenn man noch den Nachgeschmack von Chlorwasser im Rachen hatte.
Deutsche hingegen sind immun gegen die Erkenntnis, dass wenig Eis im Glas einen Drink mehr verwässert als viel Eis – und zudem überhaupt nicht kalt hält. Das Eis-Problem, so ist zumindest meine Theorie, führt auch dazu, dass man in Deutschland vor allem in ländlichen Kneipen keine noch so simplen Drinks bestellen kann. Da wird ein Martini schnell zum warmen Wermut der Marke “Martini & Rossi”, den man womöglich noch mit Schirmchen serviert bekommt.
Und weil unwissende Kunden bei einer Bacardi-Cola mit sechs statt zwei Eiswürfeln denken, sie würden nicht genug Getränk für ihr Geld bekommen, wird sich an der Eis-Unterversorgung in Deutschland wohl nichts ändern. Frei nach dem Motto: Viel Getränk im Glas ist viel Genuss fürs Geld. Aber vielleicht fehlt einfach das Eiswürfel-Gen, denn auch die in den USA in fast jeden Kühlschrank integrierten Eiswürfelmacher sind in Deutschland nur Nischenprodukt.
Und so sitze ich hier jetzt insgesamt sehr deutsch-amerikanisch. Es ist amerikanisches Wetter (ca. 35 Grad), aber weil ich deutsche Klimatisierung habe (keine), muss ich meine Getränke amerikanisch zu mir nehmen (mit viel Eis). Wenn mir trotzdem noch zu warm ist, setze ich mich unter den Deckenventilator. Aber lange halte ich das nicht aus, dafür bin ich noch zu deutsch. Unterm Ventilator “zieht’s” auch in den USA.