In Los Angeles geht ohne Auto gar nichts. Doch den Weg zum eigenen Wagen muss man erst einmal überstehen – und rechtzeitig den aufdringlichen Autoverkäufer abschütteln. (21. Juni 2005)
Detroit, Michigan, ist das Hauptquartier der großen amerikanischen Autoproduzenten General Motors, Ford und Chrysler und führt deshalb den Spitznamen “Motor City”. Doch es gib eine weitere Stadt in Amerika, die diesen Namen verdient: Los Angeles. Wo selbst Nebenstraßen breiter sind als deutsche Autobahnen und ein Highway in Downtown streckenweise neunspurig ist, “geht” man nicht einmal einen Kaffee trinken. Denn ohne Auto geht in L.A. gar nichts. Nicht umsonst lautet der Werbeslogan des Ölwechsel-Unternehmens “jiffy lube”: “Making sure nobody walks in L.A.” (“damit niemand in L.A. laufen muss”). Nach bestandener Führerscheinprüfung stand ein Auto also ganz oben auf der Anschaffungsliste.
Die Auswahl an Autohändlern ist groß, die Konkurrenz untereinander noch größer. Jeder Feiertag wird für ein großes Werbe-Event genutzt. Auf die Halloween Savings (“Halloween-Sparangebote”) folgt der Christmas Sale (“Weihnachtsverkauf”). Dem ist der New Year’s Drive (“Neujahrsaktion”) dicht auf den Fersen. Bis zum Spring Sale Event (“Frühjahrsverkauf”) ist dann etwas Luft. Auch auf den ersten Blick unpassende Festtage müssen für Autowerbung herhalten. Warum nicht ein neuer Toyota zum Volkstrauertag?
Momentan ist Independence Day Sale (“Unabhängigkeitstags-Verkauf”), die Autohäuser selbst geben sich aber das ganze Jahr lang sehr patriotisch. Amerika-Fahnen flattern neben denen der Automarken, und das typische rot-weiß-blaue Lametta umrahmt gigantische Parkplätze mit Neu- und Gebrauchtwagen. Eine weit sichtbare digitale Werbetafel unterbricht die aktuellen Angebote für Pick-Ups mit Botschaften wie “God bless our troops” (“Gott segne unsere Truppen”) und “9/11 – We will never forget” (“9/11 – Wir werden nie vergessen”).
Betritt man das Gelände eines Autohändlers, weicht dessen Patriotismus jedoch schnell einem ausgeprägten Jagdinstinkt. Als Kunde fühlt man sich dann wie ein Surfer, der von Haien umgeben ist. Autoverkäufer brauchen nicht einmal Sichtkontakt, sie können sogar um die Ecke herum Kunden-Witterung aufnehmen. Und haben sie sich einmal in ein hilfloses Opfer verbissen, ist ein Entrinnen nur noch mit eisernem Willen möglich. Der Verkäufer weicht dem potentiellen Kunden keinen Meter von der Seite, bis er das Gelände wieder verlässt – ob mit neuem Auto oder ohne.
Ich hatte ein Auge auf ein typisch kalifornisches Gefährt geworfen: einen gebrauchten VW New Beetle. Er ist so etwas wie in Deutschland der Golf – aus dem Straßenbild einfach nicht wegzudenken. Eine Probefahrt in Begleitung des eifrigen Kundenberaters sollte die Entscheidung erleichtern. Vor allem führte sie aber den größten Nachteil des Beetle vor Augen: Der etwa zwei Meter große Verkäufer musste sich an mehreren Stellen falten, um auf dem Rücksitz Platz zu nehmen. Trotzdem brachte mich die Probefahrt nicht von meinem Kaufwillen ab. Den Verkäufer wollte ich schließlich nicht mit nach Hause nehmen. Die Verhandlungen konnten beginnen.
Für diesen Vorgang muss man ein paar Stunden Zeit einplanen, denn es wird mit harten Bandagen gekämpft. Die Zahl auf der Windschutzscheibe ist bestenfalls ein erster Anhaltspunkt und schon nach fünf Minuten Makulatur. Wenn der Preis um mehr als zehn Prozent gedrückt ist, werden die Verhandlungen zäher. Dann muss man seine Vorstellungen auf ein Blatt Papier schreiben, das der Verkäufer prompt in ein anderes Büro zu seinem Manager trägt. Dieser streicht den Preis durch und macht ein eigenes Angebot. Hat man dies drei Mal hinter sich, kommt der Manager persönlich und beklagt sich, dass er bei diesem Preis seine Kinder nicht zum College schicken könne. Dann geht er wieder, und das Zettelchen-Spiel beginnt von vorn.
Irgendwann blieb mir als letztes Druckmittel nur noch das Verlassen des Autohauses. Doch kurz bevor es dazu kam, fiel ich auf den ältesten Trick überhaupt herein. Ich ließ mich dazu drängen, noch ein weiteres Modell anzuschauen. Und so kaufte ich letztendlich einen anderen VW Beetle, der ein Jahr älter war und ein paar Meilen mehr auf dem Tacho hatte. Dafür habe ich jetzt so viele Extras an Bord, dass ich sogar den regelmäßigen Staus etwas Positives abgewinnen kann. Mit Klimaanlage, Lederausstattung, CD-Wechsler, 150 PS-Turbomotor und fünf leicht erreichbaren Getränkedosenhaltern steht es sich auf dem sechsspurigen Highway sehr bequem.